Veröffentlicht am 20. Januar 2025
Einheitspatent vs. Länderpatent: Was Forschende am KIT wissen sollten
Das europäische Einheitspatent trat am 1. Juni 2023 in Kraft – eine Veränderung, die weitreichende Auswirkungen auf die europäische Patentszene hat. Das neuaufgelegte Einheitspatent verspricht den einfacheren europaweiten Schutz für Erfindungen: Mit nur einem Antrag kann eine Erfindung direkt in mehreren europäischen Ländern geschützt werden. Doch was genau bedeutet dies für die Praxis und für Erfindungen aus der Wissenschaft? Dr. Andreas Weddigen, der Leiter für gewerblichen Rechtsschutz am KIT, gibt im Interview einen Überblick, was das neue Einheitspatent für die schutzrechtliche Sicherung bedeutet. Welche Vorteile bringt das neue Patentsystem? Wie unterscheidet es sich vom klassischen Länderpatent? Und wie wird das Einheitspatent bisher am KIT genutzt? Antworten dazu erhalten Sie im Interview.

Herr Weddigen, zunächst ein Blick auf die Zahlen: Noch bevor es das Einheitspatent gab, wie war im Jahr 2023 das Verhältnis von deutschen, europäischen und weltweiten Patentanmeldungen am KIT?
Andreas Weddigen: Das KIT meldet in der Regel Erfindungen erstmalig national in Deutschland beim Deutschen Patent- und Markenamt oder als europäische Patentanmeldung beim Europäischen Patentamt an. Hierauf bezogen verteilen sich diese für das Jahr 2023 auf 25 deutsche und 18 europäische Erstanmeldungen mit KIT als Anmelder oder Mitanmelder.
Ab dem Anmeldetag einer ersten Anmeldung gibt es für die Anmeldenden die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres dieselbe Erfindung in weiteren Ländern anzumelden. Demnach wurden 2023 neben den vorgenannten 43 Erstanmeldungen noch 36 Nachanmeldungen vorgenommen. Diese Nachanmeldungen setzen sich wiederum aus einer Nachanmeldung in Deutschland, zehn europäischen Bündelanmeldungen (EP-Anmeldungen), elf weltweiten Bündelanmeldungen (PCT-Anmeldungen) sowie vierzehn länderspezifischen Anmeldungen, wie z.B. USA, China oder Taiwan, zusammen.
Seit Juni 2023 ist es möglich, ein europäisches Einheitspatent anzumelden. Was steckt dahinter und worin unterscheidet es sich vom Länderpatent?
Andreas Weddigen: Eine Beantragung eines Einheitspatents setzt immer die Erteilung eines Euro-päischen Patents vor dem Europäischen Patentamt in München voraus. Nach der Erteilung muss dieses in den europäischen Staaten, die Vertragsparteien des europäischen Patentübereinkommens sind, validiert werden, d.h. jeweils in ein nationales Patentrecht umgewandelt werden, um dort jeweils seine Rechtswirkung entfalten zu können.
Mit Einführung des europäischen Einheitspatents ist es nun möglich, nicht nur nationale Staaten jeweils einzeln zu validieren, sondern mit dem Einheitspatent mit einem Patent gleich eine ganze Gruppe von EU-Staaten, die sich dem Einheitspatent angeschlossen haben. Aktuell sind dies 18 EU-Staaten, in die sich die Rechtswirkung des Einheitspatents unmittelbar entfaltet: Österreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Portugal, Rumänien, Slowenien, Schweden. Es ist gut möglich, dass in den nächsten Jahren weitere dazukommen.
Das Europäische Einheitspatent ist aber nur eine von zwei Säulen des neuen Patentsystems. Die zweite Säule umfasst die Gerichtsbarkeit für Einheitspatente, die durch das Einheitliche Patentgericht (EPG) gegeben ist. Die Zuständigkeit des EPG umfasst aber nicht nur Einheitspatente, sondern grundsätzlich auch alle anderen vom Europäischen Patentamt erteilten europäischen Patente.
Wo liegen die Vorteile des neuen europäischen Einheitspatents und des neueingerichteten Einheitlichen Patentgerichts?
Andreas Weddigen: Das europäische Einheitspatent bietet – wie schon gesagt – den besonderen Vorteil, mit nur einem Antrag gleich den Schutz für knapp 20 EU-Staaten mit einem gemeinsamen Patent zu erlangen. Dies spart Kosten, da damit insbesondere die finanziellen und organisatorischen Aufwendungen gleich für mehrere nationale Validierungen eingespart werden können. Ein Einheitspatent muss in Englisch und einer weiteren Amtssprache der teilnehmenden EU-Staaten vorliegen. Das wirkt sich vor allem positiv auf die erforderlichen Übersetzungskosten aus.
Ein weiterer Aspekt: Das Einheitliche Patentgericht ist nun zentrale Anlaufstelle für die gerichtliche Durchsetzung und andere Patentstreitigkeiten von europäischen Patenten. Es bündelt Auseinandersetzungen in Patentangelegenheiten – was nicht nur den Verwaltungsaufwand und die Kosten, sondern auch das Risiko widersprüchlicher Urteile nationalstaatlicher Gerichte in den Validierungsstaaten reduziert.
Zusammenfassend bietet das System des europäischen Einheitspatents die Perspektive, einen einheitlichen Patentschutz in wesentlichen Ländern in der EU mit reduziertem Aufwand und erhöhter Rechtssicherheit sicherzustellen. Ein klarer Pluspunkt für alle Beteiligten.
Inwiefern profitiert das KIT von dieser Entwicklung? Oder ist der Vorteil für Wirtschaftsunternehmen größer?
Andreas Weddigen: Vom Einheitspatent profitieren natürlich die Patentinhaberinnen und -inhaber, die darauf angewiesen sind, ein europäisches Patent in der EU nicht nur flächendeckend, d.h. gleich in einer Vielzahl von Ländern zu validieren, sondern auch in diesen Ländern möglichst lange zu halten. Dies sind in der Regel Unternehmen, die ihre Produkte im europäischen Markt flächendeckend vermarkten.
Forschungseinrichtungen sind in der Regel nicht selbst kommerziell tätig. Sie profitieren daher mittelbar über ihre Kooperations- und Verwertungspartner an den Möglichkeiten und Vorteilen des Einheitspatentsystems. Darüber hinaus bietet ein Einheitspatent gegenüber einer Vielzahl von Validierungen in Einzelstaaten ein administratives Einsparungspotential.
Wie wird das Einheitspatent seit dem Start am KIT genutzt?
Andreas Weddigen: Das KIT nutzt die Möglichkeit der Beantragung eines Einheitspatents bereits in neun Einzelfällen von insgesamt 37 europäischen Patenten, die seit dem 01. Juni 2023 erteilt wurden. Die Entscheidung erfolgt in der Regel in Abstimmung mit unseren lizenzierten Partnern.
Haben diese Fälle etwas gemeinsam, was für ein Einheitspatent spricht?
Andreas Weddigen: Ob das Einheitspatent von Vorteil ist, beratschlagen wir im Team mit den anmeldenden Forschenden für jeden Fall individuell. Es sind meist Einzelfälle, die aber in der Regel schon im Verwertungsprozess eingebunden sind. Interessant wird eine Beantragung eines Einheitspatents aus einem europäischen Patent vor allem dann, wenn eine größere Anzahl von Ländern zur Validierung anstehen, von denen mindestens vier durch das Einheitspatent abgedeckt werden können.
Welche Gründe sprechen gegen das Einheitspatent im Entscheidungsfall?
Andreas Weddigen: Trotz der Vorteile hinsichtlich Kosten und Komplexität gibt es auch Argumente, die gegen die Beantragung eines Einheitspatents sprechen:
- Alles oder Nichts: Das europäische Einheitspatent kann nur als Ganzes, d.h. einheitlich für alle beteiligten 18 EU-Staaten, beantragt und aufrechterhalten werden. Eine nachträgliche territoriale Einschränkung oder eine Beantragung nur für einen territorialen Teil ist nicht möglich. Dies schränkt natürlich eine Ausdünnung des ursprünglichen Patentportfolios, etwa aus Gründen einer Kostenersparnis beispielsweise als Vorratspatent oder bei nur geringen Umsätzen, erheblich ein.
- Remis der Kosten: Das Einheitspatent lohnt sich nur bei Schutz in vielen Staaten. Die Jahresgebühren des Einheitspatents, die sich an der Summe der nationalen Jahresgebühren der vier anmeldungsstärksten dieser 18 Länder orientieren, sind für die große territoriale Erstreckung des Schutzbereichs vergleichsweise moderat. Bei Schutz in nur wenigen europäischen Ländern sind nationale Validierungen aber oft günstiger als das Einheitspatent.
- Lücken im Schutzbereich: Das System des europäischen Einheitspatents lässt wichtige Länder außen vor, wie z.B. Großbritannien, Spanien oder Polen. Diese erfordern nach wie vor eine separate Validierung.
Was raten Sie Erfinderinnen und Erfindern am KIT bei der Entscheidung über den Schutzbereich?
Andreas Weddigen: Ein Einheitspatent stellt wie jedes andere Patent ein territorial und zeitlich begrenztes Verbietungsrecht dar. Bei der Entscheidung über den Schutzbereich sollten Nutzen und Kosten sorgfältig abgewogen werden. Maßgeblich ist die Auswahl der Länder, in denen ein Patentschutz erforderlich oder ratsam ist. Ein Einheitspatent ist vor allem dann eine gute Option, wenn der Schutz in den ausgewählten Ländern mit einem Einheitspatent kostengünstiger erreicht werden kann.
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