Research to Business

Die Wolkenmacher

Forscher des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des KIT wollen gemeinsam mit der Bilfinger Noell GmbH die Wolkenforschung professionalisieren. Mithilfe der mobilen Wolkenkammer PINE ermöglichen sie autarke, vollautomatische Langzeitmessungen von Aerosolen und Eiskeimpartikeln.

Das Projektteam rund um PINE vor der Versuchsanlage AIDA 2.0: Von links Dr. Wolfgang Walter, Dr. Cristian Boffo und Tatjana Pfeuffer von Bilfinger Noell sowie von rechts die Aerosolforscher Dr. Ottmar Möhler und Dr. Larissa Lacher vom KIT. (Bild: Patrick Langer / KIT)
Funktionsprinzip: Das Einlasssystem (I), die Wolken-Expansionskammer (II), das Kühlsystem (III), die Partikeldetektion (IV) und das Kontrollsystem (V). Während einer Expansion wird der Aerosolfluss über einen Bypass geleitet. (Bild: Institut für Meteorologie und Klimaforschung / KIT)

„Heute Mittag machen wir die ersten Wolken!“, berichtet Dr. Larissa Lacher vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des KIT erfreut – in Voraussicht auf die anstehenden Testmessungen mit PINE (Portable Ice Nucleation Experiment). Erst vor wenigen Tagen wurde das verkaufsfertige Messgerät für Aerosole und Eiskeimpartikel (Ice Nucleating Particles, kurz INPs) aus der Nullserie am Institut angeliefert, das die Forschergruppe des IMK gemeinsam mit den Ingenieuren der Bilfinger Noell GmbH entwickelt hat. Das Messgerät durchläuft am Institut einen abschließenden Check vor der Auslieferung an den allerersten Kunden.

Produktentwicklung mit Konzept

Dr. Ottmar Möhler, Leiter der Arbeitsgruppe Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen am IMK, erklärt die Hintergründe: „Eiskeimpartikel bzw. eisbildende Partikel sind ein wichtiger Einflussfaktor für strahlungsrelevante Eigenschaften von Wolken und können die Niederschlagsbildung beeinflussen. Hier können systematische Messungen Aufschluss über Details der Bildung und Anzahl von eisbildenden Partikeln in Wolken geben. Wir sind 2018 mit der Idee und einem Laborprototypen zur portablen Messung gestartet. Seitdem haben wir mit unserem Partner erfolgreich ein kommerzielles Gerät aufgebaut.“ Im Rahmen eines Technologietransfer-Projekts – dem Förderinstrument für die produktorientierte Weiterentwicklung von Forschungsergebnissen am KIT – entstand ein mobiles, vollautomatisiertes Instrument zur Messung der Konzentration von eisbildenden Partikeln. Dr. Cristian Boffo, Leiter der Entwicklung Magnettechnik bei Bilfinger Noell, ergänzt: „Das Kooperationsmodell und die partnerschaftliche, zielorientierte Zusammenarbeit waren sehr erfolgreich. Zum einen wurde das Projektergebnis in Rekordzeit von einem Jahr erzielt. Zum anderen haben wir nun ein Produkt vorliegen, welches wir gemeinsam weltweit vermarkten können.“

Technologischer Fortschritt verbindet

Bilfinger Noell und das KIT blicken mit diesem Erfolg auf eine langjährige Zusammenarbeit zurück, weiß der Geschäftsführer des Unternehmens, Dr. Roland Hepper: „Es bestehen schon seit Jahrzehnten sehr gute Verbindungen zum KIT. Aktuell haben wir mehrere Kooperationen, beispielsweise in der Kryo-, Magnet-, Vakuum- und Supraleittechnik sowie Energiespeicherung. Die Zusammenarbeit ist als eine nachhaltige Partnerschaft zum beiderseitigen Nutzen ausgeprägt.“ Der Industriedienstleister Bilfinger Noell steht für Hightech und Engineering-Know-how mit einem umfangreichen Leistungsspektrum. „Uns war es wichtig, in einem solch investitionsreichen Projekt wie PINE mit einem erfahrenen Industriepartner zusammenzuarbeiten, den wir kennen und schätzen. Die Expertise im Bereich Spezialanlagen kam uns im Projekt zugute“, betont Dr. Möhler.

Niederschläge besser verstehen

Auf wissenschaftlicher Ebene und bei der Entwicklung von PINE wurden die Wolkenforscher des KIT zudem von Forschern der University of Leeds unterstützt. Die internationale Zusammenarbeit macht deutlich, wie wichtig die Aufklärung der Wolkenprozesse und insbesondere der Einfluss von Aerosolen sind. Aerosole sind kleinste Schwebeteilchen, die aus vielfältigen natürlichen und menschlich generierten Quellen stammen. Eine sehr kleine Untermenge der Aerosolpartikel, die sog. Eiskeimpartikel oder INPs, sind für die Eisbildung in Wolken verantwortlich, wie z.B. nachweislich Wüstenstaub, Bakterien oder Pflanzenreste.

Auf diesen winzig kleinen Teilchen lagert sich Wasserdampf ab, wodurch sich Wassertröpfchen bilden, aus denen ganze Wolken entstehen. Einige der Tropfen gefrieren bereits bei Temperaturen zwischen 0 und -35 Grad Celsius zu Eiskristallen, was ohne die Wirkung der INPs erst bei etwa -35 bis -38 Grad Celsius passiert. Mit steigender Anzahl an Eiskristallen in einer Mischwolke, welche aus Wassertröpfchen und Eiskristallen besteht, verändern sich deren optische Eigenschaften und Lebensdauer, da über die Eisphase vermehrt Niederschlag entsteht und sich die Wolke somit „auflösen“ kann. Zudem wird die zeitliche und räumliche Verteilung von Niederschlägen durch die individuellen Partikelvorkommen beeinflusst. Dadurch haben eisbildende Partikel eine sehr wichtige Bedeutung für Wetter und Klima.

Welche und wie viele solcher Eiskeimpartikel in der Atmosphäre zu finden sind, ließ sich bislang nur mit sehr zeitaufwändigen Methoden und mit geringer zeitlicher Auflösung messen: „Existierende Online-Eiskeimzähler sind aktuell nicht langzeitbeobachtungsfähig, weil man die Geräte aktiv betreuen muss. Das limitiert uns auf Feldkampagnen mit kurzen Einblicken in die Eiskeimfähigkeit von Aerosolpartikeln“, so Dr. Lacher, die schon zahlreiche Feldkampagnen, wie etwa auf dem Jungfraujoch in den Schweizer Alpen oder auf dem Puy de Dôme in Frankreich, durchgeführt hat. Als erstes vollautomatisiertes Messgerät ist PINE für den Langzeitbetrieb prädestiniert.

Kleine AIDA für mehr Flexibilität

Mit der Großforschungsanlage AIDA (Aerosol Interactions and Dynamics in the Atmosphere) am Campus Nord des KIT haben die Projektpartner bereits eine einzigartige experimentelle Einrichtung zur Untersuchung der Auswirkungen von Aerosolen geschaffen. Hier war Dr. Möhler schon als Initiator und Projektleiter aktiv. „Wir wollten neben der Laborversuchsanlage zusätzlich eine mobile Lösung bereitstellen“, so der Physiker. PINE kann sowohl im Feld, z.B. auf Bergstationen oder anderen meteorologischen Messstationen, als auch für Forschungsarbeiten zur Eisnukleation im Labor eingesetzt werden. Die Herausforderung bestand darin, das etablierte AIDA-Prinzip auf ein mobiles Gerät zu skalieren und zu automatisieren. Die Anforderungen der Miniaturisierung konnten im offenen Austausch mit Bilfinger Noell gelöst werden. Dr. Boffo erläutert: „Wir haben auf Basis unserer kryogenen Erfahrungen unter anderem ein kompakteres Kühlsystem für PINE entwickelt.“

In Phase 1 werden bei gleicher Temperatur und Umgebungsdruck die Aerosolpartikel durch die Kammer „gespült“, bevor in Phase 2 Druck und Temperatur reduziert werden, wodurch eine Wolke entsteht. In Phase 3 werden wieder Anfangsbedingungen hergestellt. (Bild: Institut für Meteorologie und Klimaforschung / KIT)

Eiskeime mobil messen

Eine Messung mit PINE läuft generell in drei kontrollierten Zyklen ab. In der Spülphase wird Umgebungsluft, die noch einen Trocknungsschritt durchläuft, über ein Ventil in die charakteristische gekühlte Expansionskammer eingeleitet und verteilt sich dort homogen. Die eingespülte Luft enthält dabei Aerosole, die das Potenzial zur Eiskeimbildung haben. Ist die Kammer vollständig gefüllt, wird der Zulauf geschlossen und gleichzeitig Luft kontrolliert aus der Kammer gepumpt, eine sogenannte „Expansion“. Dieses Prinzip ahmt die Wolkenentstehung durch Luftmassenhebung nach. Infolgedessen fallen Druck und Temperatur ab und die relative Luftfeuchtigkeit steigt innerhalb der Kammer an, bis die Eis- oder Flüssigkeitssättigung überschritten ist und sich Wolkentröpfchen und Eiskristalle bilden können– eine Mischphasenwolke entsteht. Mit PINE können also wahrhaftig Wolken unter kontrollierten Bedingungen erzeugt werden.

Sowohl die kleineren Tröpfchen als auch die großen Eiskristalle werden schließlich aus der Expansionskammer herausgeleitet und mit einem optischen Partikelzähler (OPC) gemessen. Der Detektor muss dabei sehr empfindlich sein und einen großen dynamischen Bereich abdecken: „Es gilt unter Umständen, das eine eisbildende Partikel unter mehreren tausenden Aerosolpartikeln zu finden. Von keinem einzigen bis 1000 INPs pro Zyklus ist alles möglich“, beschreibt Dr. Lacher. Der dritte und letzte Schritt ist die Herstellung des Ausgangszustands: Neue Luft wird nachgefüllt und die bereits analysierte Luft wie in einem Kreislauf ausgeführt. Diese Zyklen werden bei einer Feldkampagne mit einer hohen zeitlichen Auflösung von ca. 5 Minuten wiederkehrend durchlaufen.

Wolkenforschung weltweit

„Weltweit gibt es derzeit etwa 50 Arbeitsgruppen, die sich mit Labormessungen zur Eisnukleation oder mit INP-Messungen in der Atmosphäre beschäftigen“, berichtet Dr. Möhler. Das steigende Interesse geht mit der Umkehr von reinen Laborergebnissen hin zu Feldkampagnen einher. Ziel ist, die Mechanismen der Wolken und Niederschlagsbildung vollends zu verstehen, um sie irgendwann auch verlässlich für Wettervorhersagen und die Klimamodellierung zu nutzen. PINE bietet Forschern die Chance, auch mit geringen Personalmitteln und wenig Aufwand, kontinuierliche Messungen am Ort der Wahl durchzuführen. Im Vergleich zu bestehenden Technologien können zudem größere Mengen Luft in kürzerer Zeit untersucht werden. Dr. Möhler resümiert: „Ich habe die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen vor einigen Jahren noch nicht als Teil meiner Arbeit betrachtet. Aber inzwischen sehe ich es als große Chance, ein neues Gerät für die Wissenschaft als Standard zu schaffen und den Erkenntnisgewinn zu fördern.“

Gute Aussichten

Nach der erfolgreichen Produktentwicklung liegt der Schwerpunkt in nächster Zeit in der weiteren Etablierung als Forschungsgerät und der Bildung eines weltweiten Anwendernetzwerks. Hierfür sind weitere Dienstleistungen, wie die Kalibrierung der einzelnen Messgeräte, an der AIDA-Anlage denkbar. Die Forschungslandschaft ist limitiert, weshalb PINE bereits beim Verkauf kleinerer Stückzahlen als Erfolg gilt. Aus Sicht des Unternehmens Bilfinger Noell lohnt sich die Investition in ein Nischenprodukt dennoch: „Die direkte und enge Beteiligung an der Entwicklung neuer Technologien ermöglicht uns die Weiterentwicklung vorhandener Kernkompetenzen, hat Potenzial zur Erweiterung unseres Liefer- und Leistungsspektrums und eröffnet gleichzeitig einen komplett neuen Kundenkreis. Ein positiver Effekt ergibt sich also nicht nur für das KIT als Forschungseinrichtung, sondern auch für uns“, fasst Dr. Hepper zusammen.

Auf lange Sicht ist eine kompaktere Version ohne Kühl- oder Feuchteregelsysteme für die hochempfindliche Messung von Aerosolpartikeln in technischen Umgebungen, z.B. in Industrie- oder Reinraumumgebungen, eine mögliche Weiterentwicklung. „Wir werden weitere Entwicklungsarbeit leisten, damit wir noch breiter anwendbare und kostengünstigere Geräte bauen können, um das Produkt auch für die Industrie attraktiv zu gestalten“, so Dr. Boffo.

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Bilder v.o.n.u: Patrick Langer / KIT Institut für Meteorologie und Klimaforschung / KIT Institut für Meteorologie und Klimaforschung / KIT

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