Veröffentlicht am 08. April 2025
Datensouveränität und Effizienz: Kadi4Mat für das digitale Labor

Hinter wissenschaftlich-technischen Errungenschaften steckt oft eine Phase des Experimentierens. Im Labor treffen Forschende, Fachleute der Ingenieurtechnik und analytische Köpfe aufeinander, um konzentriert an Proben und Versuchsaufbauten zu arbeiten – messen, dokumentieren und Ergebnisse hinterfragen – immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen. Jedes Experiment erzeugt dabei eine Fülle von Daten: Messwerte, Reaktionszeiten, Materialeigenschaften, bildbasierte Testergebnisse und mehr. Erst durch die Analyse dieser Datenmengen lassen sich Muster, Zusammenhänge und wissenschaftlich fundierte Rückschlüsse ziehen. Daher sind elektronische Laborjournale (ELN), eine Art Logbuch oder Versuchsprotokoll, in vielen Labors Standard. Ein Team um Dr. Michael Selzer vom Institut für Nanotechnologie (INT) des KIT hat die Plattform Kadi4Mat (Karlsruher Dateninfrastruktur für die Materialwissenschaften) entwickelt, die die Labordokumentation und -analyse schneller, smarter und nachhaltiger macht. Dabei geht Kadi4Mat weit über traditionelle elektronische Laborbücher hinaus.
Aus Daten Wissen schaffen
Nicht jedes Experiment führt zum gewünschten Ergebnis, aber jeder Versuch liefert wertvolle Daten. Daher ist Forschungsdatenmanagement entscheidend, um datenbasierte Forschungsergebnisse nachvollziehbar, reproduzierbar und langfristig nutzbar zu machen. Eine virtuelle Forschungsumgebung wie Kadi4Mat unterstützt die in Forschung und Entwicklung Tätigen genau dabei. „Früher mussten Forschende mühsam manuell protokollieren, später erleichterten elektronische Laborbücher die Arbeit“, erinnert sich der Informatiker Selzer, ehemals in der Materialsimulation am KIT tätig. Sein Wunsch nach noch mehr Effizienz bei Materialversuchen führte zu einer neuen Passion: „Ich habe mein Forschungsfeld gewechselt – von der Materialwissenschaft hin zur Forschungsdatenwissenschaft. Für mich ist es spannend, weil es ein völlig neuer Forschungsbereich ist.“ Aus der wissenschaftlichen Arbeit ist im Rahmen verschiedener Verbundprojekte und der NFDI4ING (Nationale Forschungsdateninfrastruktur für die Ingenieurswissenschaften) die inzwischen verfügbare Plattform Kadi4Mat, kurz Kadi, entstanden. NFDI4ING ist ein Konsortium innerhalb der vom BMBF geförderten Initiative NFDI mit dem Ziel, eine nachhaltige Infrastruktur für Forschungsdaten zu etablieren.

FAIR statt Datenfrust
„Ein klassisches ELN dokumentiert Laboraufgaben. Kadi4Mat bezeichne ich gerne als ELN 2.0: Es geht darum, den Forschungsprozess als Ganzes zu dokumentieren, zu steuern und auszuwerten – bis hin zur Automatisierung. Wir fokussieren uns auf Workflows. Dazu müssen wir genau verstehen, welche Schritte notwendig sind, um ein gutes Forschungsdatenmanagement in den verschiedenen Disziplinen zu realisieren. Welche Geräte brauche ich für ein Experiment? Welche Schritte sind in welcher Reihenfolge notwendig? Und in welcher Art und Weise nutze ich die Geräte? Der gesamte Ablauf wirft jeweils Daten ab, die relevant sind und idealerweise automatisch erfasst werden. Darauf richten wir die Infrastruktur aus“, beschreibt Selzer die Komplexität. Besonders wichtig ist dabei die einfache und möglichst automatische Erfassung der Daten sowie deren strukturierte Ablage: Denn je mehr Daten es sind, desto wichtiger ist die entsprechende Katalogisierung und Einordnung der Daten, um später nicht die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen suchen zu müssen. Um Informationen sinnvoll zu speichern, langfristig verfügbar zu machen und miteinander in Beziehung zu setzen, schafft Kadi nicht nur als Repositorium, sondern als bedienbares Tool Abhilfe: Die Software durchsucht, analysiert, visualisiert und vergleicht die angefallenen Daten effizient miteinander, um den Informationsgewinn aus wissenschaftlicher Arbeit entsprechend der etablierten FAIR-Prinzipien zu maximieren. „Diese besagen, dass Forschungsdaten auffindbar (Findable), zugänglich (Accessible), interoperabel (Interoperable) und wiederverwendbar (Re-usable) sein sollen. Unabhängig von Kadi setzen wir uns im Rahmen der NFDI-Initiativen für einen Standard für Daten- und Austauschformate ein“, berichtet Selzer.
Die Philosophie: modular und offen
„Mit Kadi4Mat schaffen wir eine Infrastruktur, die den gesamten Forschungsprozess dokumentieren und automatisieren kann. Sie kombiniert ein ELN der nächsten Generation mit leistungsstarken Schnittstellen, die für maximale Flexibilität und Interoperabilität sorgen“, fasst Entwickler Selzer zusammen und betont: „Wir wollten keine weitere Insellösung erschaffen, sondern eine offene und erweiterbare Plattform anbieten, die in der universitären und industriellen Forschung anwendbar ist.“ Ursprünglich für die Materialwissenschaft konzipiert, hat sich die Open-Source-Plattform zu einem modularen Baukasten entwickelt, der individuell an die Bedürfnisse von Nutzenden angepasst werden kann. Neben der Kernkomponente KadiWeb gibt es verschiedene spezialisierte Module, wie KadiStudio für das Workflow-Management oder KadiAI für maschinelles Lernen, die unterschiedliche Bedarfe adressieren und kombinierbar sind. Die Basis bildet das Dateisystem KadiFS, das mit den Laborgeräten verbunden ist und so nahtlos Daten ohne weitere Anpassungen der Software speichern kann. „Man muss nicht alles nutzen, aber man kann. Mit offenen Schnittstellen und modularen Features ist Kadi4Mat beliebig umfangreich einsetzbar – von der einfachen Dokumentation bis hin zu komplexen maschinellen Lernprozessen. Unser Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, die nicht nur Lösungen für heutige Anwendungen bietet, sondern auch zukunftsfähig ist“, betont Selzer, einer der führenden Köpfe hinter Kadi4Mat. „Wir legen dabei großen Wert auf die Software-Dokumentation. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen in der Lage sein, individuelle Bedarfe über die entwickelten Programmierschnittstellen zu bedienen. Dies ermöglicht vielfältige und flexible Einsatzmöglichkeiten sowie einen hohen Automatisierungsgrad“, berichtet Selzer aus Entwicklerperspektive.
Vorsprung mit Kadi4Mat
Die Kombination aus Offenheit, Flexibilität und Effizienzsteigerung macht Kadi zu einer konkurrenzlosen Lösung für Forschungsprozesse und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie. „Die größte Hürde ist oft die Überzeugung der Nutzenden“, gibt Selzer offen zu und erklärt: „Doch wer Kadi einmal nutzt, ist begeistert und wird zum Multiplikator. Der anfängliche Mehraufwand für die Implementierung zahlt sich im Arbeitsalltag aus. Das Feedback ist entsprechend positiv.“ Kadi4Mat bietet zahlreiche Funktionen und Raum für Individualisierung. Anwendungsbeispiele zeigen den Mehrwert deutlich: „Im Exzellenzcluster POLIS (Post Lithium Storage) unterstützen wir die Batterieforschung durch ein gutes Forschungsdatenmanagement. Dort können mit Kadi Versuchsparameter direkt in die verbundenen Geräte eingespeist und die Tests automatisiert gestartet werden, während die Forschenden bereits an neuen Fragestellungen arbeiten. Im Bereich der Materialforschung konnten wir mit KadiStudio die Videoauswertung eines Mikropillar-Tests, also die Charakterisierung eines Materials unter mechanischer Belastung, beschleunigen und verbessern. Während die manuelle Auswertung der Videodaten vorher zwei Stunden in Anspruch nahm, geht es mit Kadi auf Knopfdruck und innerhalb weniger Minuten. Dank Integration von KI können wir Muster in großen Datensätzen schneller erkennen und die Analysen präziser machen. Das ist nicht nur eine deutliche Effizienzsteigerung, sondern bringt gleichzeitig Freiräume für intensivere Forschung“, so Selzer. Mit mittlerweile mehreren hundert Nutzenden weltweit plant das Team am KIT die nächsten Schritte. Die Erweiterung des Ökosystems und die Optimierung der Benutzerfreundlichkeit stehen dabei im Fokus. „Unser Ziel ist es, eine internationale Community aufzubauen, die sich nicht nur auf die Nutzung, sondern auch auf die Weiterentwicklung der Plattform konzentriert. Mit dem ersten Community Workshop in Ulm im März 2025, den wir gemeinsam mit dem DLR e.V. organisiert haben, konnten dazu die Weichen bereits erfolgreich gestellt werden“, so das Update von Selzer.
Datengetriebene Innovation
Mit offenen Schnittstellen und flexiblen Workflows sorgt die Plattform vom KIT dafür, dass Forschung nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger und innovativer wird. Für Unternehmen bietet Kadi eine ideale Basis für eine verbesserte Dateninfrastruktur und optimierte Prozesse. „Unsere Plattform zeigt, wie anwendungsnahe Forschung und innovative Technologien erfolgreich zusammenfinden können“, resümiert Selzer. Durch den Einsatz eines ganzheitlichen Systems lassen sich Forschungsdaten aus verschiedenen Quellen standardisiert sammeln und für zukünftige Projekte nutzen. Dies unterstützt die Entwicklung neuer Produkte, Materialien, Technologien oder Verfahren und verbessert die Zusammenarbeit zwischen interdisziplinären Teams.
Datensicherheit inklusive
Trotz der Offenheit für verschiedene Anwendungsfelder bleibt Datenschutz ein zentrales Thema. Im Wissenschaftskontext ist das Teilen von Daten erwünscht und gefordert, verstärkt durch Open Science. Dem entgegen steht die vorherrschende industrielle Anforderung, geschäftsinterne Informationen zu schützen. „Gerade im industriellen Umfeld ist Datensicherheit ein kritischer Faktor“, unterstreicht Selzer. Beide Perspektiven werden bei der Umsetzung von Kadi4Mat berücksichtigt. Neben einer Cloud-Version kann die Plattform lokal betrieben werden, sodass Unternehmen die volle Kontrolle über ihre Daten behalten. Zudem arbeitet das Team daran, die Zusammenarbeit zwischen dezentralen Instanzen zu verbessern, beispielsweise durch eine automatisierte Anfragefunktion für Datenzugriffe und ein Rechte- und Rollenmanagement. Dies erlaubt eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, sei es in der Grundlagenforschung oder in der angewandten Industrie.
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