Research to Business
Die Mülltrennung ist der erste Schritt zum Recycling von Wertstoffabfällen nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Mit einem neuen Pyrolyseverfahren zum chemischen Kunststoffrecycling gehen KIT und ARCUS Greencycling Technologies neue Wege, um gemischte Kunststoffabfälle zu verwerten. (Bild: RJA1988 / pixabay.com)
Die Mülltrennung ist der erste Schritt zum Recycling von Wertstoffabfällen nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Mit einem neuen Pyrolyseverfahren zum chemischen Kunststoffrecycling gehen KIT und ARCUS Greencycling Technologies neue Wege, um gemischte Kunststoffabfälle zu verwerten. (Bild: RJA1988 / pixabay.com)

Chemisches Kunststoffrecycling salonfähig machen

Am KIT wurde ein Pyrolyseverfahren zum chemischen Recycling von gemischten Kunststoffabfällen entwickelt. Die ARCUS Greencycling Technologies GmbH setzt auf das Verfahren und baut eine erste Demonstrationsanlage, um zukünftig mehr aus Kunststoffabfällen herauszuholen.

Bereits seit den 1990ern werden Dosen, Becher und andere Verpackungen mithilfe des gelben Sacks oder der gelben Tonne gesammelt. Werden die Wertstoffe richtig getrennt, können sie verwertet werden und als Sekundärrohstoffe effizient Ressourcen einsparen. (Bild: Letiha / pixybay.com)

Circa 6 Millionen Tonnen Verpackungsmüll landen in Deutschland pro Jahr in der Wertstofftonne oder im sogenannten Gelben Sack. 60 Prozent dieser Leichtverpackungen werden bereits werkstofflich recycelt, um dem Grundsatz der Kreislaufwirtschaft nachzukommen. Das bedeutet: Damit eingesetzte Rohstoffe nach Gebrauch nicht verloren gehen, werden die Abfälle wieder der Verwertung zugeführt. Richtige Mülltrennung macht diesen Recyclingkreislauf für Kunststoffabfälle erst möglich. Um in Zukunft noch bessere Recyclingquoten für Kunststoff zu erreichen, haben Forschende des KIT eine vielversprechende Lösung entwickelt: Das chemische Recycling von gemischten Kunststoffabfällen durch thermochemische Pyrolyse.

Formen der Kunststoffverwertung

„Beim herkömmlichen, werkstofflichen Recycling werden vorsortierte Kunststoffverpackungen mechanisch aufbereitet, die chemische Struktur bleibt dabei unverändert. Für einen solchen Prozess geeignet sind sortenrein sortierbare Kunststoffe aus dem Verpackungsbereich oder anfallende Rückstände aus der Produktion von Kunststoffprodukten. Schwierig wird es jedoch, wenn sich Kunststoffe nicht sortenrein trennen lassen oder durch Verschmutzungen kontaminiert sind. In diesen Fällen wurden bisher die Kunststoffabfälle in Müllverbrennungsanlagen zumindest energetisch verwertet“, erklärt Prof. Dieter Stapf, Leiter vom Institut für Technische Chemie (ITC) am KIT, die Hintergründe.

In den meisten Konsumprodukten werden bislang keine sortenreinen Kunststoffe eingesetzt, sondern maßgeschneiderte Materialien und Teilkomponenten für den jeweiligen Einsatzzweck oder hochfunktionalisierte technische Kunststoffe und Verbundmaterialien. Früher oder später werden sie aber alle zu Abfall. „Dieser Materialmix in den Abfällen bringt das werkstoffliche Recycling an seine Grenzen. Trennen und Sortieren wird zur unlösbaren Aufgabe und lässt sich nicht mehr wirtschaftlich umsetzen“, erklärt Dr. Marco Tomasi Morgano. Er hat während seiner Promotion am KIT an der Weiterentwicklung des Pyrolyseverfahrens mitgewirkt und treibt seit 2019 als Technischer Leiter bei ARCUS Greencycling Technologies die Industrialisierung des Verfahrens voran. Das chemische Recycling ermöglicht es, Kunststoffmischungen zurück in einen ressourcenschonenden Kreislauf zu führen. Da hierbei gleichzeitig vermarktbare Pyrolyseprodukte, wie Pyrolyseöl, erzeugt werden, zählt das Verfahren zur rohstofflichen Verwertung von Kunststoffen.

Experimenteller Aufbau des Schneckenpyrolysereaktors am Institut für Technische Chemie zur Erzeugung von flüssigen und gasförmigen Einsatzstoffen aus Kunststoffabfällen, die für chemische und petrochemische Prozesse weiterverwendet werden können. (Bild: KIT)

Chemisches Recycling am KIT

Im Pyrolysetechnikum des ITC forscht Stapfs Arbeitsgruppe seit vielen Jahren an der Pyrolyse verschiedenster organischer Materialien und fokussierte sich dabei auch auf gemischte Kunststoffabfälle. „Das Recycling hat eine hohe Bedeutung für das Klima und die Ressourcenschonung und spornt unsere verfahrenstechnische Forschung an. Wir brauchen jetzt Lösungen, um schwierige Abfälle zu handhaben“, so Prof. Stapf. Mit ihrem patentierten Schneckenpyrolysereaktor sind die Forschenden Vorreiter auf diesem Gebiet. In dem speziellen Trogschneckenreaktor können Mischkunststoffe mit Korngrößen unter 25 Millimeter durch Pyrolyse in ihre Grundbestandteile – feste, flüssige und gasförmige Rohstoffe – überführt werden.

Bei der Pyrolyse werden die konditionierten, zuvor zerkleinerten Kunststoffabfälle aus Sortierresten der gelben Tonne oder aus Schredderanlagen für Altfahrzeuge unter Zugabe von Additiven, wie Sorbentien und Katalysatoren, thermochemisch behandelt. Die optimalen Pyrolysehochtemperaturen und Feststoffverweilzeiten im Reaktor wurden am Institut für ganz unterschiedliche Kunststoffmischungen eruiert. Eine Besonderheit des Reaktors ist die nachgeschaltete Heißgasfiltration: Pyrolysegase und -dämpfe können direkt und partikelfrei abgezogen werden. Die mehrstufige Kondensationseinheit, bestehend aus Wärmeüberträgern und elektrostatischen Abscheidern, trennt die kondensierbaren Pyrolyseprodukte, wie Pyrolyseöl, final ab. Der kontinuierliche Reaktorbetrieb läuft weitestgehend automatisch.

Schematischer Aufbau des Trogschneckenreaktors: Materialeintrag, Pyrolysereaktor mit Heizer, Heißgasfilter und Kondensationseinheit zur Gasreinigung. (Bild: ITC / KIT)
Schematischer Aufbau des Trogschneckenreaktors: Materialeintrag, Pyrolysereaktor mit Heizer, Heißgasfilter und Kondensationseinheit zur Gasreinigung. (Bild: ITC / KIT)

Vom Experiment zum Piloten

Seit 2018 arbeitet das KIT gemeinsam mit der ARCUS Greencycling Technologies GmbH daran, die Kunststoffpyrolyse in die industrielle Anwendung zu überführen. Der Verfahrensingenieur Dr. Tomasi Morgano betont: „Durch das Verfahren soll der rohstoffliche Kreislauf für die bisher nicht verwertbaren Kunststoffabfälle geschlossen werden. Mich motiviert es sehr, dass ich in meiner Position bei ARCUS nun das aufgebaute Wissen industrienah einsetzen und dabei einen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann.“ ARCUS entwickelt Projekte und Technologien zur Kreislaufführung von Kunststoffen. Die Reaktortechnologie des KIT ergänzt das Portfolio des Ludwigsburger Unternehmens daher optimal.

Prof. Stapf konkretisiert: „Im Rahmen der Kooperation hat ARCUS eine Pyrolyseanlage auf Basis der KIT-Technologie realisiert, mit der gemischte Verpackungsabfälle im industriellen Maßstab rohstofflich verwertet werden können. Wichtig war, dass deren Endprodukte wiederverwendbar sind.“ Um das bestehende Verfahren zu skalieren, waren einige technische Anpassungen hinsichtlich Prozessführung, Sicherheit und Logistik notwendig. Die technologischen Fragestellungen zur Prozessführung bearbeitete das Forscherteam am KIT; ARCUS übernahm hingegen die Themen Anlagenbau, Wirtschaftlichkeit und Genehmigung.

Die erarbeitete Anlage ist modular konzipiert und ist für den dezentralen Einsatz vorgesehen, z.B. im Umfeld von Anlagen zur mechanischen Aufbereitung von Leichtverpackungen oder Gewerbeabfällen. Derzeit baut ARCUS eine Demonstrationsanlage im Industriepark Höchst in Frankfurt am Main auf, die für einen geplanten Durchsatz von ca. 500 kg/h ausgelegt ist – einschließlich Kondensation, Gasreinigung und Stromerzeugung. Tomasi Morgano berichtet: „Das Genehmigungsverfahren war sehr komplex, da wir mit unserer Anlage zwei Sektoren zusammenbringen: Abfallbehandlung und Chemie. Daher bin ich froh, dass der Bau nun planmäßig verläuft.“ Die Etablierung des Verfahrens im Markt ist das erklärte Ziel für die kommenden Jahre, ohne dabei neue Entwicklungen wie Biokunststoffe außer Acht zu lassen.

Aufbau der Pyrolyse PDU (Process Development Unit) von ARCUS Greencycling Technologies zum chemischen Recycling gemischter Kunststoffabfälle. Mit der Demonstrationsanlage sollen Roh- und Wertstoffe in einem geschlossenen Prozess gewonnen werden. (Bild: ARCUS Greencycling Technologies GmbH)
Aufbau der Pyrolyse PDU (Process Development Unit) von ARCUS Greencycling Technologies zum chemischen Recycling gemischter Kunststoffabfälle. Mit der Demonstrationsanlage sollen Roh- und Wertstoffe in einem geschlossenen Prozess gewonnen werden. (Bild: ARCUS Greencycling Technologies GmbH)

Daten & Fakten zur Demonstrationsanlage

  • 4000 Ton/Anno gemischte Kunststoffabfälle für eine thermische Leistung von 4,5 MW
  • ca. 2500 Ton/Anno Pyrolyseöl (Markenname: ARCUS-Liquids)
  • Voll elektrischer Betrieb (Ofen, Kälte, etc.) für ca. 700 kW installierte elektrische Leistung
  • Gasmotoren jeweils Dual Fuel (Erdgas und Pyrolysegas) mit einer elektrischen Leistung von 600 kW mit Erdgas oder 500 kW mit Pyrolysegas insgesamt
  • Über 650 Messstellen zur kontinuierlichen Überwachung, Bilanzierung und Regelung der Anlage

Verwertbare Rohstoffe gewinnen

Die Pyrolyse ist eine junge Methode, um Wertstoffe aus Kunststoffabfällen hochwertig zu nutzen und die chemische Industrie klimaneutral ohne fossile Rohstoffe zu gestalten. Durch die Umwandlungsprozesse beim chemischen Recycling werden die Abfälle zu flüssigen, gasförmigen und festen Pyrolyseprodukten: Hauptsächlich Pyrolyseöle, die natürliches Erdöl als Eingangsstoff für die Polymerchemie ersetzen. Darüber hinaus können Pyrolysegase, Koks und Kondensate als eigenständige Produkte für die Petrochemie oder Energiegewinnung erzeugt werden. „Ein geschlossener Kreislauf, in dem alle Kunststoffabfälle vollständig verwertet werden können, ist der Idealzustand, der noch unerreichbar scheint. Mit unseren Anlagen leisten wir aber dennoch einen Beitrag. Jede neue Verwertungsmöglichkeit ist ein Schritt zur besseren Kreislaufwirtschaft“, fasst der Verfahrenstechniker Tomasi Morgano zusammen und blickt mit Zuversicht auf die Inbetriebnahme der Demonstrationsanlage.

Kontakt

Auszeichnung mit dem Lothar-Späth-Award 2021
Mit ihrem modularen Anlagenkonzept für das chemische Kunststoffrecycling, das ein Pyrolyseverfahren des KIT anwendet, wurden die Kooperationspartner Arcus Greencycling Technologies und KIT am 18. November 2021 zum zweiten Sieger des Lothar-Späth-Awards gekürt. Der Award zeichnet kooperative Innovationspartnerschaften zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen in Baden-Württemberg aus. Prämiert wurden die Kooperationspartner für das rohstoffliche Kunststoffrecycling im Sinne der Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft.

Dr. Daniela Späth-Zöllner, Jurymitglied und Tochter von Lothar Späth, freut sich als Laudatorin mit den Zweitplatzierten. V.l.n.r: Dr. Daniela Späth-Zöllner, Julian Odenthal (Head of Business Development ARCUS Greencycling Technologies GmbH), Paulina Dyczewska (Verfahrensingenieurin, ARCUS Greencycling Technologies GmbH), Daniel Odenthal (Gründer ARCUS Greencycling Technologies GmbH), Prof. Dr.-Ing. Dieter Stapf (KIT), Dr. Ing. Marco Tomasi Morgano (Chief Technology Officer ARCUS Greencycling Technologies GmbH). (Bild: Klaus Hepp)
V.l.n.r: Dr. Daniela Späth-Zöllner, Jurymitglied und Tochter von Lothar Späth, freut sich als Laudatorin mit den Zweitplatzierten. V.l.n.r: Dr. Daniela Späth-Zöllner, Tochter von Lothar Späth, Julian Odenthal (Head of Business Development ARCUS Greencycling Technologies GmbH), Paulina Dyczewska (Verfahrensingenieurin, ARCUS Greencycling Technologies GmbH), Daniel Odenthal (Gründer ARCUS Greencycling Technologies GmbH), Prof. Dr.-Ing. Dieter Stapf (KIT), Dr. Ing. Marco Tomasi Morgano (Chief Technology Officer ARCUS Greencycling Technologies GmbH). (Bild: Klaus Hepp)

Exkurs: Zahlen und Fakten zur Kunststoffverwertung

Im Diskurs über Nachhaltigkeit und Umweltschutz geben Statistiken zu Recycling und Kreislaufwirtschaft einen Einblick in die Entwicklung relevanter Bereiche. Das Umweltbundesamt ist eine wissenschaftliche Behörde, die sich mit wichtigen Umweltfragen befasst, diese beobachtet und bewertet. Zum Thema Kunststoffrecycling zeigt das Umweltbundesamt einige interessante Langzeitstudienergebnisse, die den Aufwärtstrend zum Recycling dokumentieren. Hieraus wird ersichtlich, dass das rohstoffliche Recycling noch unterrepräsentiert ist.

Im Jahr 2019 fielen in Deutschland 6,28 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Von den 6,28 Millionen Tonnen (Mio. t) Gesamt-Kunststoffabfällen wurden 2,93 Mio. t, oder 46,6 % werk- und rohstofflich genutzt. (Quelle: Umweltbundesamt / CONVERSIO Market & Strategy GmbH)

Im Jahr 2019 fielen in Deutschland 6,28 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Von den 6,28 Millionen Tonnen (Mio. t) Gesamt-Kunststoffabfällen wurden 2,93 Mio. t, oder 46,6 % werk- und rohstofflich genutzt. (Quelle: Umweltbundesamt / CONVERSIO Market & Strategy GmbH)

Aufkommen und Verbleib von Kunststoffabfällen in Deutschland in 2019 in Millionen Tonnen. Mit Werten weit unter 1 Prozent nimmt die rohstoffliche Verwertung bisher den geringsten Anteil bei der Verwertung von Kunststoffen ein. (Quelle: Umweltbundesamt / CONVERSIO Market & Strategy GmbH)

Aufkommen und Verbleib von Kunststoffabfällen in Deutschland in 2019 in Millionen Tonnen. Mit Werten weit unter 1 Prozent nimmt die rohstoffliche Verwertung bisher den geringsten Anteil bei der Verwertung von Kunststoffen ein. (Quelle: Umweltbundesamt / CONVERSIO Market & Strategy GmbH)

Anteil relevanter Branchen an der Verarbeitungsmenge Kunststoffe in 2019. Mit 30,7 Prozent nimmt die Verpackungsindustrie knapp ein Drittel der Verarbeitungsmenge ein. (Quelle: Umweltbundesamt / CONVERSIO Market & Strategy GmbH)

Anteil relevanter Branchen an der Verarbeitungsmenge Kunststoffe in 2019. Mit 30,7 Prozent nimmt die Verpackungsindustrie knapp ein Drittel der Verarbeitungsmenge ein. (Quelle: Umweltbundesamt / CONVERSIO Market & Strategy GmbH)

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