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Bei der Bearbeitung und der Verwertung von Carbon-Komponenten können Faserfragmente der darin enthaltenen Kohlenstofffasern freigesetzt werden. Die Toxizität dieser Aerosole untersuchen die Verbundpartner im Projekt Carbon Fibre Cycle. (Bild: KIT, bearbeitet von Karola Janz)
Bei der Bearbeitung und der Verwertung von Carbon-Komponenten können Faserfragmente der darin enthaltenen Kohlenstofffasern freigesetzt werden. Die Toxizität dieser Aerosole untersuchen die Verbundpartner im Projekt Carbon Fibre Cycle. (Bild: KIT, bearbeitet von Karola Janz)

Carbonfasern – Ein Werkstoff mit Gesundheitsrisiko?

Bei der Bearbeitung und der Verwertung von kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff können Fragmente der Kohlenstofffasern freigesetzt werden. Was passiert, wenn beteiligte Personen diese einatmen? Geht von diesen Faserfragmenten eine gesundheitliche Gefährdung aus? Nach Antworten suchen Forschende des KIT mit weiteren Forschungs- und Industriepartnern im Verbundprojekt Carbon Fibre Cycle (CFC).

Ultraleicht. Hochstabil. Frei formbar. Diese Eigenschaften machen kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) zu einem begehrten Werkstoff für Leichtbauanwendungen. Umgangssprachlich werden solche carbonfaserverstärkten Bauteile oft als Carbon abgekürzt, zum Beispiel beim Carbonrad. Insbesondere die Herstellung von Kohlenstofffasern und deren Einsatz in Polymeren zu kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (CFK) ist sehr energie- und kostenintensiv. Deshalb sollten im Sinne der Nachhaltigkeit solche Materialien konsequent wiederverwendet werden. Es mangelt jedoch noch an Verfahren für das Recycling dieser Verbundmaterialien und auch Aspekte der Arbeitssicherheit sind im gesamten Kreislauf noch unzureichend erforscht. Im Projekt „Carbon Fibre Cycle“ (CFC) untersuchen Forschende vom KIT, der RTWH Aachen und dem Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe (IVW) gemeinsam mit den Industriepartnern VITROCELL Systems GmbH und PALAS GmbH, inwiefern die Bearbeitung und insbesondere deren Verwertung am „End of life“ (EoL) Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnte. Erkenntnisse zum Freisetzungsverhalten und zur Toxizität liefern wichtige Anhaltspunkte für zukünftige Maßnahmen des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit, sowie im Bereich der Kreislaufwirtschaft von CFK.

Zum Wegwerfen zu wertvoll

„Carbonfasern und Verbundmaterialien wurden ursprünglich für den Bereich der Luft- und Raumfahrt entwickelt, damit diese als hochstabiles Leichtbaumaterial in diesen Anwendungen Spitzenleistung erbringen können. Aufgrund der vorteilhaften Materialeigenschaften hat dieser Hightech-Werkstoff in den letzten Jahren auch weitere Branchen erobert, von Automotive über Sport bis hin zu Anwendungen in der Medizintechnik“, erzählt Projektmitarbeiterin Sonja Mülhopt vom Institut für Technische Chemie (ITC) des KIT. Entsprechend den Marktberichten des Netzwerks für Faserverbundwerkstoffe „Composites United“ hat sich die Bedarfsmenge an Carbonfasern seit 2010 weltweit nahezu verdreifacht und liegt 2022 bei rund 100.000 Tonnen pro Jahr. Eine immense Menge, für die eine Verwertung am Ende des Produktlebens (EoL) noch weitgehend offen ist.

„Das Problem: Es gibt noch keine ausreichenden, zufriedenstellenden Lösungen einer hochwertigen Verwertung für solche Carbon-Komponenten“, berichtet Werner Baumann, Gruppenleiter Partikeltechnologie am ITC. „Seitens Industrie und Forschung wurden verschiedene Methoden hierzu entwickelt, aber für deren Umsetzung und insbesondere für die Marktakzeptanz von recycelten Carbonfasern (rCF) sind weitere Bemühungen notwendig. Generell liegen Informationen zum Verbleib von EoL-Materialien bisher nur unzureichend vor“, so Baumann weiter. Eine schlussendliche Verwertung und somit Entsorgung in Verbrennungsanlagen ist nicht gegeben, da die Verweilzeiten der Fasern sowohl in der Hausmüll- als auch in der Sonderabfallverbrennung nicht ausreichend sind, um die Fasern vollständig abzubauen.

Junger Werkstoff mit offenen Fragen

„Die zunehmende Herstellung von Carbonprodukten und eine daraus resultierende Zunahme an Produktions- und Bearbeitungsschritten sowie die damit verbundene Entsorgung kann zu einer Freisetzung lungengängiger Carbonstäube führen. Wie verändert sich der Werkstoff bei mechanischer Bearbeitung oder thermischer Belastung? Und wie wird der Mensch dabei exponiert? Diese Fragen sind noch nicht ausreichend beantwortet“, gibt die Ingenieurin Mülhopt zu bedenken. Sie und ihr Team forschen in enger Kooperation mit den Arbeitsgruppen des Biologen Carsten Weiss am Institut für Biologische und Chemische Systeme (IBCS-BIP) und der Chemikerin Andrea Hartwig am Institut für Angewandte Biowissenschaften (IAB) bereits seit vielen Jahren daran, wie luftgetragene, partikuläre Schadstoffe die Lunge beeinflussen können. Fragen zu ungeklärten Problemen frühzeitig zu stellen und Carbon unter die Lupe zu nehmen, ist das Ziel der CFC-Verbundpartner im interdisziplinären Projekt. „Mithilfe aller Partner identifizieren, analysieren und bewerten wir lungengängige Faserbruchstücke von kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) nach mechanischer Bearbeitung oder thermischer Behandlung, um mehr über das Materialverhalten zu erfahren. Diese systematische Untersuchung liefert erste Hinweise darauf, wie sich die Eigenschaften und damit das Verhalten von Carbonfasern im Laufe ihres Lebenszyklus verändern. Dies kann natürlich Einfluss auf die Wirkung im Menschen und die Toxizität haben“, berichtet Carsten Weiss.

Wie wichtig solche Diskussionen und grundlegende Materialforschung sind, zeigen Beispiele aus der Vergangenheit: Asbest ist ein natürlicher Faserbaustoff, der ab den 30er Jahren wegen seiner praktischen Eigenschaften sehr beliebt war. Knapp 60 Jahre später wurde die Herstellung und Verwendung von Asbest aufgrund seiner krebserzeugenden Eigenschaften strikt verboten. Erst nach Einführung des Baustoffs wurde die Gefahr erkannt. Dem Weißmacher Titandioxid wiederfährt gerade ein ähnliches Schicksal, da es zwischenzeitlich als krebsverdächtig eingestuft wurde und somit in Zukunft eine Verwendung als Lebensmittelzusatzstoff untersagt ist.

Unter dem Lichtmikroskop wird die Struktur der Carbonfragmente sichtbar: Die Kohlenstofffasern sind steif, rau und bekanntlich thermisch stabil. (Bild: KIT)

Übertragbare Mechanismen

Mit dem Fortschritt von Forschung und Technik werden Wirkmechanismen im Körper beim Kontakt mit solchen Materialien, sei es als Staub oder Faserfragment, immer detaillierter untersucht. Es gibt inzwischen eine klare Vorstellung davon, wie Fasern die menschliche Lunge schädigen und wie diese Prozesse ablaufen. Sind die Partikel von ganz charakteristischer Beschaffenheit, dann liegt nachweislich ein hohes Gefährdungspotenzial vor. Die Ingenieurin Mülhopt konkretisiert: „Sind die Bruchstücke inhalierbar, schwer löslich und zusätzlich noch starr, dann kann das Immunsystem damit nur schwer umgehen. Die Folge können Entzündungen, Fibrosen und andere Folgeerkrankungen bis hin zum Krebs sein. Tatsache ist, dass diese physikalisch-chemischen Merkmalen zur Einschätzung des toxischen Potenzials auch auf Carbonfaserfragmente zutreffen.“ Daher kommt das Projektteam zu dem Schluss: „Wir können davon ausgehen, dass die grundlegenden Prinzipien zur Fasertoxizität auf lungengängige Carbonfaserfragmente übertragbar sind.“

Lichtmikroskopische Aufnahme: Durch thermische Belastung angegriffene CF-Probe. (Foto: KIT)

Von der Hypothese zur Wirklichkeit

Die Forschenden der RTWH Aachen steckten zu Beginn der dreijährigen Zusammenarbeit in einer ausführlichen Analyse ab, welche Materialklasse an Carbonfasern in der Industrie am meisten verarbeitet wird und wie reale Freisetzungsszenarien aussehen können. Darauf aufbauend haben sich die Forscherinnen und Forscher vom Leibniz-Institut für Verbundwerkstoffe angeschaut, wie sich Carbonteile durch mechanische Beanspruchung strukturell verändern. „Hier stand vor allem die mechanische Bearbeitung durch Fräsen und Schneiden im Mittelpunkt der Untersuchungen. Die Kernfrage bestand darin, ob Faserfragmente durch solche mechanischen oder thermischen Belastungen so klein werden, dass sie inhalierbar sind“, gibt Partikelexperte Baumann an. Mülhopt ergänzt: „Nachdem wir wussten, in welcher Form Carbonfragmente dem Menschen begegnen können, galt es, diese Exposition reproduzierbar nachzuahmen.“

Adaptiertes Expositionssystem

Hierbei kam ein Expositionssystem für Bioassays zur Anwendung, das Mülhopt und ihre Arbeitsgruppe gemeinsam mit dem Kollegenkreis des IBCS und Vitrocell in langjähriger Zusammenarbeit entwickelt haben. Wie das System funktioniert, erklärt die Miterfinderin Mülhopt: „Bei der Exposition bringen wir gasgetragene Partikel auf unterschiedliche Lungenzelltypen auf: Im Projekt waren es konkret Carbonfaserfragmente, die auf Bronchialepithelzellen und Zellen des Immunsystems abgeschieden wurden. Ein mit Carbonfaserfragmenten beladenes Aerosol strömt über die Oberfläche der biologischen Kulturen und induziert durch die deponierten Partikel dosisabhängige Reaktionen, wie etwa Entzündungsprozesse. Die biologische Wirksamkeit der Partikel auf die Zellen wird dadurch realitätsnah quantifiziert.“ Die Toxikologen des KIT, an den Instituten IBCS und IAB, konnten genau beobachten, welche zellulären Reaktionen anhand von Genexpressionsänderungen auftraten, die für die Lunge bedenklich sein könnten.

Das kommerzielle Expositionssystem findet bisher vor allem Verwendung für die Untersuchung von Emissionsquellen und Umweltaerosolen bei Partikelgrößen von 0,02 bis 2 Mikrometern. Die Adaption des Gerätes hin zu größeren Partikeln war daher ein wichtiger Teil des Projekts. Mülhopt berichtet: „Wir mussten vor allem auf der Aerosolerzeugungsseite arbeiten. Es war nicht leicht, realitätsnahe Teststäube bereitzustellen, mit denen Untersuchungen durchführbar waren. Vitrocell hat sein Know-how in der Entwicklung einer komplett neuen Aerosolquelle für Emissionen aus der CFK-Bearbeitung eingebracht. Das umfasst eine neue Methode, um ein Prüfaerosol zu erzeugen – also Fasern aus Verbundmaterialien in die Aerosolphase zu bringen. Zusätzlich wurde ein Vorabscheider angepasst, der den Nasen-Rachen-Raum abbildet.“ Projektkoordinatorin Mülhopt betont: „Es waren viele verschiedene Stellschrauben, an denen am System gearbeitet wurde, sodass das Gesamtkonzept plausible Ergebnisse liefert.“

Expositionsverfahren des KIT: Mit dem vollautomatisierten „in vitro“-Verfahren können die Zusammenhänge zwischen Partikeldurchmesser, Materialeigenschaften, Anzahlkonzentration und biologischer Wirkung ermittelt werden. Im Projekt ist das Verfahren im Einsatz, um die Toxizität von Carbonfragmenten in Zellen der menschlichen Lunge zu bestimmen. (Bild: KIT)

Expositionsverfahren des KIT: Mit dem vollautomatisierten „in vitro“-Verfahren können die Zusammenhänge zwischen Partikeldurchmesser, Materialeigenschaften, Anzahlkonzentration und biologischer Wirkung ermittelt werden. Im Projekt ist das Verfahren im Einsatz, um die Toxizität von Carbonfragmenten in Zellen der menschlichen Lunge zu bestimmen. (Bild: KIT)

Expositionsverfahren des KIT: Mit dem vollautomatisierten „in vitro“-Verfahren können die Zusammenhänge zwischen Partikeldurchmesser, Materialeigenschaften, Anzahlkonzentration und biologischer Wirkung ermittelt werden. Im Projekt ist das Verfahren im Einsatz, um die Toxizität von Carbonfragmenten in Zellen der menschlichen Lunge zu bestimmen. (Bild: KIT)

Expositionsverfahren des KIT: Mit dem vollautomatisierten „in vitro“-Verfahren können die Zusammenhänge zwischen Partikeldurchmesser, Materialeigenschaften, Anzahlkonzentration und biologischer Wirkung ermittelt werden. Im Projekt ist das Verfahren im Einsatz, um die Toxizität von Carbonfragmenten in Zellen der menschlichen Lunge zu bestimmen. (Bild: KIT)

Expositionsverfahren des KIT: Mit dem vollautomatisierten „in vitro“-Verfahren können die Zusammenhänge zwischen Partikeldurchmesser, Materialeigenschaften, Anzahlkonzentration und biologischer Wirkung ermittelt werden. Im Projekt ist das Verfahren im Einsatz, um die Toxizität von Carbonfragmenten in Zellen der menschlichen Lunge zu bestimmen. (Bild: KIT)

Expositionsverfahren des KIT: Mit dem vollautomatisierten „in vitro“-Verfahren können die Zusammenhänge zwischen Partikeldurchmesser, Materialeigenschaften, Anzahlkonzentration und biologischer Wirkung ermittelt werden. Im Projekt ist das Verfahren im Einsatz, um die Toxizität von Carbonfragmenten in Zellen der menschlichen Lunge zu bestimmen. (Bild: KIT)

Vom Erkenntnisgewinn zur Konsequenz

Die Erkenntnisse aus dem CFC-Projekt geben erste, wertvolle Hinweise darauf, inwieweit Carbon-Aerosole eine Gesundheitsgefährdung für den Menschen darstellen. „Wir können belegen, dass das bearbeitete Carbonmaterial nicht so unkritisch ist, wie man gehofft hat. In der Konsequenz bedeutet das aber noch nicht, dass ein Verbot für diesen Werkstoff von Nöten ist“, resümiert Mülhopt. Alle Projektbeteiligten sind sich einig: „Neben den ersten Erkenntnissen wurden viele neue Forschungsfragen aufgeworfen. In diesem frühen Stadium ist es unmöglich, eine allgemeingültige Aussage zu treffen.“ Carbon Fibre Cycle mündet in wichtigen Ergebnissen, die Rückschlüsse auf den Schutz von im Verarbeitungsprozess involvierten Personen zulassen. „Eine praktische Handlungsempfehlung ist die Vermeidung einer Exposition von Mitarbeitenden, indem die Bildung solcher Fasern und der direkte Kontakt mit ihnen verhindert wird, beispielsweise durch entsprechende Schutzausrüstung“, so Mülhopt.

Wie die Vergangenheit lehrt, kann sich die Bewertung von zunächst sicher eingestuften Materialien verändern. Mülhopt macht deutlich: „Wir haben mit dem ersten Projekt dieser Art und den ersten Daten gerade einmal einen Fingerzeig erhalten. Die Ergebnisse lassen aufhorchen und machen gleichzeitig den Bedarf an Vorsorgeforschung deutlich, der wahrgenommen werden sollte.“

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