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Von Karlsruhe bis Kalifornien: Kites‘ Traum einer Welt ohne Sprachbarrieren

Die kites GmbH, gegründet von Forschenden des KIT, wollte nicht weniger als die Welt mit ihren Sprachtechnologien revolutionieren. Im Sommer 2021 wurde kites vom US-Unternehmen Zoom Video Communications aufgekauft – gemeinsam arbeiten sie nun an ihren Technologien weiter. Die kites-Gründer Dr. Sebastian Stüker und Prof. Alexander Waibel über Erfolge, Rückschläge und warum der selbstgesteckte Idealismus über Umwege dennoch zum Ziel führen kann.

Ziel der kites GmbH: Die Forschenden Prof. Alexander Waibel und Dr. Sebastian Stüker wollten mit ihren Sprachtechnologien Kommunikation zwischen Menschen verbessern.
Die Forschenden Prof. Alexander Waibel und Dr. Sebastian Stüker gründeten die kites GmbH mit dem Ziel, Kommunikation zwischen Menschen zu verbessern. (Bild: Markus Breig / KIT)

Es ist 1978. Alexander Waibel, damals noch Student am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA, träumt davon, eine Maschine zu bauen, die den Menschen eine bessere Kommunikation ermöglichen kann. Ambitionierte Träume in einer Zeit, als Computer lediglich ein paar Zeilen Text ein- und ausgeben konnten und das Hauptkommunikationsmittel analoge Briefe waren: „Ich hatte das damals maßlos unterschätzt und dachte mir einfach nur, dass das doch ein sehr nettes Thema wäre. Mein Professor war sehr höflich, hat das aber als kleine Spinnerei seines Studenten behandelt. Er wusste besser als ich, was für ein schwieriges Vorhaben das sein würde“.

Neun Firmengründungen und fast 40 Jahre später: Immer noch getrieben von dem Wunsch, Technologien für Menschen zu erschaffen und Kommunikation zu verbessern, steht Waibel, nun Professor der Informatik, vor der zehnten Gründung seines Lebens. Gemeinsam mit Dr. Sebastian Stüker, der 2009 in multilingualer Spracherkennung am KIT promovierte, gründete Prof. Waibel die kites GmbH. Warum kites? „Das steht für Karlsruhe Information Technology Solutions. Dr. Stüker hat sich das ausgedacht. Es ist ein dreifaches Wortspiel: Erstens ist es eben eine Abkürzung. Zweitens passt es einfach in direkter Nachbarschaft zum KIT. Und drittens bedeutet es im Englischen ein Drache, der in die Höhe steigt und fliegt“, so Prof. Waibel.

Der KIT Lecture Translator ist eine Software zur Simultanübersetzung, die internationalen und hörbeeinträchtigten Studierenden eine bessere Teilhabe an Vorlesungen ermöglicht. (Bild: KIT)

Vom KIT Lecture Translator zum Europäischen Parlament

Das Ziel des Teams: Sie wollen mit ihren innovativen Lösungen Sprachbarrieren in der Welt eliminieren. „Das Besondere an unserer Technologie ist, dass wir die Übersetzung gesprochener Sprache simultan stattfinden lassen. Während gesprochen wird, wird mit möglichst geringer Verzögerung sowohl verschriftet als auch in eine fremde Sprache übersetzt“, erklärt Dr. Stüker. Wie dies in der Praxis aussehen könnte, zeigten die Forschenden bereits 2013 mit der Entwicklung des KIT Lecture Translator, der mittlerweile fester Bestandteil von Vorlesungen am KIT ist. Der Lecture Translator unterstützt Studierende mit Live-Untertiteln in mehreren möglichen Sprachen, um so Studienhalte besser verstehen zu können – ein großer Schritt in Richtung Barrierefreiheit.

Nach diesem ersten Erfolg fokussierte sich das Team darauf, Abwandlungen des Lecture Translators für Kunden im B2B-Bereich zur Verfügung zu stellen. Hier kam die Gründung der kites GmbH ins Spiel, wie Dr. Stüker darlegt: „Es gibt immer noch eine relativ große Lücke zwischen dem, was man im Forschungslabor macht und dem, was man hinterher als Produkt tatsächlich anbieten kann. Wir haben gegründet, um Technologien so entwickeln zu können, dass sie als Produkt bei Kunden eingesetzt werden können“. Ein großer Traum war insbesondere für Prof. Waibel der sinnbildliche Griff nach den (zwölf) Sternen: „Es war ein Stück Idealismus gezielt in Deutschland zu gründen. Kites war gedacht für deutsche Universitäten und fürs Europaparlament. Wir hatten die Vision, dem Europäischen Parlament und so letztlich auch Europa etwas Gutes zu tun“. Im Europäischen Parlament arbeitete das Team über mehrere Jahre an einem Proof of Concept, zusammen mit dem Generalsekretär und seinem Kabinett. Die ersten Installationen liefen mit vollem Erfolg: 2018 veranstalteten sie die erste Konferenz des Europäischen Parlaments mit automatischer Sprachübersetzung. Auf Basis dieser Erfolge hatten sie Hoffnungen, ein großes Projekt im Parlament starten zu können, das internationale Verständigung nachhaltig verändern würde. Die Forschenden investierten Schweiß, Herzblut und finanzielle Mittel in ihren Traum, was sich letztlich jedoch nicht auszahlen sollte.  Allen technologischen Durchbrüchen zum Trotz, wurde die geplante Erweiterung des kites-Projekts am Europäischen Parlament nicht umgesetzt – ein herber Rückschlag.

Corona ändert den Kurs

2020 sah sich das junge Unternehmen dann mit einer neuen Realität konfrontiert: Waren Live-Veranstaltungen noch bis zu Beginn der Corona-Pandemie das Hauptgeschäft der kites GmbH, galt es nun, komplett auf Videokonferenzen umzuschwenken. Im Rahmen dessen kam die Gründung mit verschiedenen Anbietern von Videokonferenz-Plattformen in Kontakt. Eine Problematik war jedoch bei allen ähnlich, wie Dr. Stüker verdeutlicht: „Das Problem war, dass man die Anzeige der Untertitel, die man bisher separat auf einem Display hatte bei einer Live-Veranstaltung, jetzt zusammen mit dem Inhalt der Veranstaltung auf einem gemeinsamen Display hat. Dann muss man natürlich schauen, wie man die beiden Sachen irgendwie miteinander verheiraten kann“. Bei dem US-amerikanischen Anbieter Zoom Video Communications zeigte sich bei einer offenen Schnittstelle Potenzial für eine mögliche Integration. Eine Idee regte sich bei dem Team: Was, wenn man sich in eine Lösung nicht nur behelfsmäßig, sondern dauerhaft integrieren könnte? Oder sogar in alle Lösungen?

Dr. Stüker erzählt: „Unsere Idee war ursprünglich, Zoom als Kunden zu gewinnen. Dann könnten wir Sprachübersetzungslösungen in dem Produkt anbieten und bräuchten dafür Unterstützung bei der Schnittstellen-Arbeit, sodass wir den Dienst besser in die Anwendung integrieren können“. Kites nahm also intensiveren Kontakt mit dem Softwareunternehmen aus San José, Kalifornien, auf. Zur Überraschung der Beteiligten endeten die gemeinsamen Gespräche jedoch nicht damit, Zoom als Kunden zu gewinnen – vielmehr sollte kites Teil von Zoom werden. Ein Angebot, das sie annahmen.

Eine Frage des Standortes

 „Wir standen an einer Weiche: Bleiben wir unabhängig oder versuchen wir möglichst viele Plattformen zu bedienen oder integriert man sich in diese eine Lösung? Was letztlich den Ausschlag gegeben hat, war, dass Zoom die beste Lösung ist – als einfacher Anwender und auch, wenn es darum geht, Übersetzungen zu integrieren. Wir waren sehr begeistert von Zoom. Und diese Begeisterung hält jetzt, als Teil der Zoom-Familie, immer noch an“, fasst Dr. Stüker zusammen. Jedoch war diese Entscheidung an Bedingungen geknüpft, wie Prof. Waibel betont: „Wir sagten Zoom, dass wir nicht umziehen wollen. Wir wollten es dieses Mal nicht in Amerika machen, sondern in Europa. Das war ja letztlich die Idee des Ganzen“. Diese Vision teilte Zoom: Das Unternehmen arbeitet, insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung, an einer Expansion nach Europa. Die perfekte Partnerschaft schien also gefunden, der Ankauf von kites durch Zoom wurde abgewickelt.

Prof. Waibel rekapituliert Vergangenes und zeigt sich zuversichtlich: „Unsere Story ging am Ende gut aus. Wir haben uns von den Rückschlägen nie einschüchtern lassen. Mit Zoom haben wir nun einen Standort in Europa. Mein Idealismus hat sich gelohnt, denn das hat ja letztlich die Auswirkung gehabt, dass nun jeder in Europa unsere Technologie hat – nicht nur das Europaparlament, sondern die gesamte Gesellschaft“. Dr. Stüker sieht das ähnlich: „Der Grund, warum wir Sprachübersetzung machen, ist ja, Hürden bei der internationalen Kommunikation zu überwinden. Wir wollen mithilfe der Sprachübersetzung Kommunikation weltweit ermöglichen und unterstützen. Und hier war der große Vorteil, dass unsere Visionen zusammengepasst haben“. Nun arbeitet das Team seit einigen Monaten als Teil von Zoom an der Implementierung verschiedener Technologien in bestehende Zoom-Produkte, so zum Beispiel die simultane Übersetzung und Untertitelung während Zoom-Meetings. Aktuell nur in Englisch, zeitnah werden weitere Sprachen folgen.

Kites bleibt „made in KA“

Auch das KIT profitiert von der Übernahme: Durch den Ankauf wird Zoom bereits in naher Zukunft in den Standort Karlsruhe als erste Forschungs- und Entwicklungsgruppe investieren. So sind unter anderem zwei Stellen von Zoom am KIT geplant. Ziel ist es, weiterhin Kontakt mit dem KIT zu halten und eine langfristige Kooperation aufzubauen. Win-Win für alle Beteiligten.

Die kites GmbH ist eine Karlsruher Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass mit genug Resilienz auch Umwege zum Ziel führen können – für eine Welt, in der Sprachbarrieren adiós, farewell oder Lebewohl gesagt werden kann.

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Bilder v.o.n.u: Markus Breig / KIT KIT

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