Research to Business

Der bessere Laborstandard

Von der Erfindung, über ein Kooperationsprojekt zur Biotechnologiegründung: Dr. Carsten Radtke zeigt, wie der Transfer von Forschungsergebnissen in die praktische Anwendung funktionieren kann. Mit der PHABIOC GmbH und Mitgründer Jannik Jungmann möchte er Laboranalysen im Bio- und Pharmabereich mit neuartigen Verbrauchsprodukten verbessern.

Im Bild befüllt ein Pipettierroboter die SpecPlate für eine spektroskopische Untersuchung in einem automatisierten Labor. Mit neuartigen Multiwellplatten für Flüssigproben in der Spektroskopie wollen die Gründer der PHABIOC GmbH die Forschung in der Pharma- und Biotech-Branche effizienter und nachhaltiger gestalten. (Bild: PHABIOC GmbH)
Mit neuartigen Multiwellplatten für Flüssigproben in der Spektroskopie wollen die Gründer der PHABIOC GmbH die Forschung in der Pharma- und Biotech-Branche effizienter und nachhaltiger gestalten. (Bild: PHABIOC GmbH)

Täglich werden weltweit Zehntausende Mikrotiterplatten für labortechnische Anwendungen in den Biowissenschaften verbraucht. Als Goldstandard gelten bisher die sogenannten Multiwellplatten mit 96 oder 384 Messkammern bzw. Wells, vergleichbar mit millimeterkleinen Näpfchen. Die bereits in den 60er Jahren eingeführten, meist transparenten Kunststoffplatten dienen im Labor als Träger für Flüssigproben, welche unter anderem mittels UV/VIS-Spektroskopie vermessen werden. Mit einer neuartigen Multiwellplatte, die am Institut für Bio- und Lebensmitteltechnik (BLT) des KIT erfunden wurde, möchten Dr. Carsten Radtke und Jannik Jungmann mit ihrer Gründung PHABIOC GmbH die Labortechnik auf vielfache Weise verbessern.

Neues schaffen: Multiwell

Die Spektroskopie beruht auf der Absorption elektromagnetischer Strahlung, wie sichtbarem (VIS) und ultraviolettem (UV) Licht. Unzählige Proben werden dabei mittels Durchlicht bestrahlt. Über die Abschwächung des Lichtstrahls, also die messbare Absorption, sind Rückschlüsse auf die Konzentrationen eines Wirkstoffes in der Probe möglich. Das Verfahren stellt hohe Anforderungen, wie Reinheit und optische Klarheit, an die Verbrauchsartikel im Labor. Dr. Carsten Radtke, der am BLT im Bereich Molekulare Aufbereitung von Bioprodukten promoviert hat, berichtet aus der Praxis: „Gebräuchliche Mikrotiterplatten haben verfahrensbedingte Probleme, die zu Messungenauigkeiten führen, wie etwa die durch Oberflächenspannung verursachte Oberflächenkrümmung in der Reaktionskammer – Flüssigkeitsmeniskus genannt – oder Fehler durch Verdünnungsschritte, welche aufgrund des begrenzten Detektionsbereichs notwendig werden. Diese Probleme sind den Anwendenden bekannt und die Folgen daraus werden einkalkuliert. Daher war unsere Motivation, eine bessere Lösung zu finden.“

Vergrößerte Kanalstruktur einer SpecPlate-Messkammer mit den vier Kammern unterschiedlicher Kanalhöhe. Durch die unterschiedlichen Höhen der Kammern kann bei einer Messung in einem großen Konzentrationsbereich gemessen werden. (Bild: PHABIOC GmbH)

Ein völlig neuer UV-transparenter Probenträger mit geschlossenen stufenartigen Messkammern und pipettierbaren Einlassöffnungen erwies sich als Durchbruch. Der Clou dieser Multiwellplatte: Eine Messeinheit umfasst vier Messkammern unterschiedlicher Kanalhöhe (100, 700, 1400 und 2000 Mikrometer), die durch eine spezielle Kanalstruktur miteinander verbunden sind. Radtke erklärt: „Die Kammern werden mit einem bestimmten Probenvolumen vollständig gefüllt, sodass sich kein Meniskus bilden kann. Über einen Ein- und Auslass wird die Menge zudem reguliert, egal ob ich etwas mehr oder weniger einfülle. Selbst wenn ein Pipettierfehler auftritt, kommt er nicht zum Tragen.“ Mit der Multiwellplatte, SpecPlate genannt, können die bekannten Probleme eliminiert und die Reproduzierbarkeit der Messungen gesteigert werden.

Die Multiwellplatte SpecPlate bietet pro Messkammer vier Messpunkte. Mithilfe von Einlass und Auslass wird der Füllstand geregelt. Die Messkammern orientieren sich am Mikrotiter-Standard. (Bild: PHABIOC GmbH)

Der Bonus für den Standard

Durch die stufenweise Steigerung der Kanalhöhe der vier Kammern kann in einem Messvorgang bei vier verschiedenen Verdünnungsstufen gemessen werden. So ist die Detektion von hoch- sowie niedrigkonzentrierten Spezies in einem Messvorgang möglich. Das heißt im Endeffekt: Durch die Verwendung der SpecPlate kann bei Adsorptionsmessungen viel Zeit eingespart und die Entwicklung von neuen Pharmazeutika beschleunigt werden. „Im Vergleich zu klassischen Mikrotiterplatten mit einem Messpunkt pro Reaktionskammer haben wir vier Messpunkte. Dadurch können wir insgesamt die Verbrauchsmenge an Platten um ein Vierfaches reduzieren. Der Materialeinsatz pro Platte, in unserem Fall Cyclo-Olefin-Copolymer (COC), ist zudem geringer als bei den Standard-Wellplatten“, betont der Erfinder Radtke. Die Grundfläche der neuen Platte orientiert sich an den Standardabmessungen von Mikrotiterplatten und ist daher kompatibel zu bestehenden Geräten in automatisierten Laborstraßen, wie Plate-Readern und Liquid-Handling-Stationen (LHS).

 

Potenzial im Projekt ausbauen

„Unsere Entwicklung stieß bei Konferenzen auf riesiges Interesse der Branche. Das war für mich die Bestätigung, dass aus unserer vielversprechenden Produktidee ein kommerzieller Erfolg werden kann. Mithilfe von RESEARCH TO BUSINESS suchten wir 2017 aktiv nach Partnern und fanden mit innoME den perfekten Kooperationspartner für die Weiterentwicklung“, blickt Radtke zurück. Die innoME GmbH realisiert für und mit ihren Kunden innovative Produkte für Anwendungen im Gesundheitswesen, der Biotechnologie sowie in der Hygieneüberwachung. Jannik Jungmann war damals als Produktmanager in der Sparte Pharma bei innoME tätig und gehörte zu den Initiatoren der Zusammenarbeit. Mit dem gemeinsamen Ziel, ein Produkt aus dem Forschungsfeld und Laborstadium auf die nächste Stufe zu bringen, entwickelten die Partner im Rahmen eines ZIM-Projekts (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, BMWK) die Multiwellplatte zum Funktionsmuster weiter.

Jungmann berichtet: „Mit dem grundsätzlichen Design der Platte war das Fundament bereits gelegt. Bis dato wurden die Muster aus Silikon noch per Handguss am KIT hergestellt. Hauptaufgabe im Projekt war es, das Produkt für die industrielle Fertigung fit zu machen und zu einer Vorserie zu entwickeln.“ Innerhalb der dreijährigen Förderphase lag das Augenmerk auf der Entwicklung eines massentauglichen Fertigungsverfahrens: von der Verfahrensauswahl und dem Materialwechsel, über den Bau eines Spritzgusswerkzeugs und der Suche nach einem produzierenden Unternehmen bis hin zur Validierung der Vorserie. „Die Spritzgussfertigung von optisch hochtransparenten Kunststoffen ist noch ein ziemlich neues Gebiet. Mit der Erwin Quader Systemtechnik GmbH haben wir zum Glück einen Produzenten gefunden, der sich mit uns an die hohen Anforderungen herantraut“, berichtet Jungmann freudig. Das Familienunternehmen baut aktuell mit neuer Anlage und Reinraum die Serienproduktion für die SpecPlate auf und möchte so zukünftig den Life-Science-Bereich als neuen Geschäftsbereich erschließen.

 

Unternehmerische Chance nutzen

Radtke macht deutlich: „Gemeinsam haben wir die SpecPlate marktfähig entwickelt, um plattenbasierte Absorptionsmessungen in der Pharma- und Biotech-Forschung effizienter und präziser zu machen. Die Vision ist, dass unsere Multiwellplatten irgendwann in den großen Screening-Laboren zu Tausenden im Einsatz sind und sich die Technologie durchsetzt. Um das zu erreichen, war die Ausgründung der nächste logische Schritt.“ Jungmann ergänzt: „Wir haben als Projektteam super zusammengearbeitet und dann einen konkreten Vorschlag ausgearbeitet, wie wir die Unternehmung weiterführen wollen. Das war 2022 der Startschuss für PHABIOC.“ Aktuell arbeiten die Jungunternehmer mithilfe einer EXIST-Gründungsförderung am Unternehmensaufbau und bereiten den Marktstart für die SpecPlate in 2024 vor. Die Rückmeldungen der ersten Pilotkunden aus der DACH-Region geben Radtke und Jungmann Zuversicht, dass sich der Pilotstatus in wiederkehrende Einkäufe wandelt.

Mit einem zweiten Produkt für die Pharmabranche, das Jungmann in der Zeit bei innoME aufgebaut hatte, sind die Gründer bereits erfolgreich auf dem Markt. „Neben der SpecPlate haben wir auch ein Produkt für die Untersuchung der Arzneimittelpermeabilität im Portfolio. Das PermeaPad ist eine Barriere aus Phospholipid und Zellulose, die biomimetisch Schleimhautbarrieren nachbildet. Diese künstlichen Barrieren erlauben es, Wirkstoff-Aufnahme-Studien im Labor in vitro durchzuführen, ohne dass Tierversuche nötig sind. Damit unterstützen wir die Arzneimittelentwicklung, zum Beispiel für Cremes, Salben, Tabletten oder Kapseln.“ Als gebrauchsfertiges Produkt ist im Moment eine Darmbarriere für den gastrointestinalen Trakt erhältlich. In Kürze wird noch eine Hautbarriere verfügbar sein, die vor allem für die Kosmetikindustrie interessant ist.

Mit PermeaPad wird die Durchlässigkeit von Zellmembranen im Körper, wie zum Beispiel des Magen-Darm-Trakts oder der Mund- und Nasenschleimhaut, für Wirkstoffe untersucht. Die künstliche Barriere simuliert dabei die Zellbarriere. PermeaPad ist als reine Barriere oder Platte erhältlich. (Bild: PHABIOC GmbH)

Mit PermeaPad wird die Durchlässigkeit von Zellmembranen im Körper, wie zum Beispiel des Magen-Darm-Trakts oder der Mund- und Nasenschleimhaut, für Wirkstoffe untersucht. Die künstliche Barriere simuliert dabei die Zellbarriere. PermeaPad ist als reine Barriere oder Platte erhältlich. (Bild: PHABIOC GmbH)

Mit PermeaPad wird die Durchlässigkeit von Zellmembranen im Körper, wie zum Beispiel des Magen-Darm-Trakts oder der Mund- und Nasenschleimhaut, für Wirkstoffe untersucht. Die künstliche Barriere simuliert dabei die Zellbarriere. PermeaPad ist als reine Barriere oder Platte erhältlich. (Bild: PHABIOC GmbH)

Mit PermeaPad wird die Durchlässigkeit von Zellmembranen im Körper, wie zum Beispiel des Magen-Darm-Trakts oder der Mund- und Nasenschleimhaut, für Wirkstoffe untersucht. Die künstliche Barriere simuliert dabei die Zellbarriere. PermeaPad ist als reine Barriere oder Platte erhältlich. (Bild: PHABIOC GmbH)

Open Innovation für die Biotechnologie

An Motivation und Energie fehlt es den Gründern nicht: PHABIOC hat sich auf die Fahne geschrieben, neuartige Laborverbrauchsmittel für die Biotech- und Pharmaforschung zu entwickeln und zu verkaufen. Dabei ist das Gründerduo immer offen für Kooperationen und agiert nach dem Prinzip von Open Innovation – internes und externes Know-how zusammenbringen, um gemeinsam gute Ideen und Lösungen zu generieren. „Unser Fokus liegt im Moment auf den Produkten SpecPlate und PermeaPad. Wir wollen uns am Markt etablieren und organisch wachsen“, so Radtke. Viele Ideen für Weiter- und Neuentwicklungen haben die Gründer jedoch schon in der Schublade. „Uns ist bewusst, dass wir mit Verbrauchsprodukten per se der Nachhaltigkeit entgegenstehen. Wir beschäftigen uns deshalb schon jetzt mit den Möglichkeiten der Zukunft, beispielsweise, wie die Multiwellplatten als Rezyklat wiederverwendbar sein könnten“, gibt Jungmann einen Ausblick.

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