Veröffentlicht am 05. Dezember 2022
Second Life für alte Kacheln
Wussten Sie, dass ein wesentlicher Anteil des Ressourcenverbrauchs auf den Bau und die Nutzung von Gebäuden und Infrastrukturen zurückgeht? Den beiden Sektoren werden knapp 40 Prozent der globalen Kohlenstoffdioxid-Emissionen zugeschrieben (UNEP 2020 GLOBAL STATUS REPORT FOR BUILDINGS AND CONSTRUCTION). Allein durch die Zementproduktion werden weltweit mehr als 2.000 Mt CO2 pro Jahr generiert (IEA (2022), Cement, IEA, Paris, License: CC BY 4.0), was über 5 Prozent des globalen Jahresausstoßes entspricht. Darüber hinaus ist mit dem Bauwesen der Einsatz großer Mengen an mineralischen oder metallischen Rohstoffen verbunden.
Um die globalen Klimaziele zu erreichen und den weltweiten Verbrauch von Rohstoffen zu reduzieren, sind deshalb Anstrengungen im Bausektor unerlässlich, worauf auch die Sustainability Goals der Vereinten Nationen hinweisen. Wie lässt sich also Nachhaltigkeit und Resilienz bei Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen erreichen? Expertinnen und Experten aus dem KIT gaben dazu beim Thementag „Nachhaltigkeit und Resilienz by Design“ des KIT-Business-Clubs, unter Schirmherrschaft von Prof. Thomas Hirth, Vizepräsident für Transfer und Internationales des KIT, spannende Einblicke in Technologien und Lösungsansätze für zukünftige urbane Räume, Infrastrukturen und Gebäude.
Säen, sammeln und sparen
Eine Option für Klimaschutz und Ressourcenschonung sind neue, nachhaltigere Baumaterialien. Beispiele hierfür sind neue Betontypen, deren Herstellung einen geringen CO2-Fußabdruck hat oder auch innovative nachwachsende Materialklassen, wie Pilzstrukturen, als Ersatz für konventionelle Materialien. Der Einsatz von nachhaltigen Baumaterialien allein wird jedoch nicht ausreichen und muss durch eine höhere Wiederverwendung gebrauchter Wertstoffe und Bauteile ergänzt werden.
Recyclingmaterialien werden in Deutschland heute vielfach nur als qualitativ minderwertige Produkte weiter genutzt bzw. angesehen. Doch neue Recyclingverfahren können dies ändern. Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Recyclingfähigkeit liegt im Design eines Bauwerks. An einem simplen Bauwerk aus Klemmbausteinen lässt sich das einfach nachvollziehen: Wird schon bei der Planung der gesamte Lebenszyklus betrachtet, können Komponenten von Anfang an so ausgeführt werden, dass eine Demontage von Modulen und ganzen Gebäudeteilen möglich ist. Solche für sich stehenden Gebäudebestandteile können dann viel leichter einem zweiten Leben, bekannt als Second Use, oder einem Recyclingprozess zugeführt werden.
Entscheidend ist die Verringerung des Materialeinsatzes insgesamt, da waren sich die Fachleute des KIT einig und brechen es auf eine einfache Formel herunter: Weniger Neubau, mehr Sanierung. Materialaufwand und CO2-Emissionen liegen bei Neubauten nämlich wesentlich höher als bei Sanierungen. Für den Fall, dass ein Neubau dennoch unausweichlich ist, muss dieser auf Langlebigkeit ausgelegt und tragfähige Konzepte für die Unterhaltung hinterlegt sein. Der Fokus in der Planung eines Bauwerks liegt heutzutage allerdings häufig auf den Erstellungskosten und nicht auf den Lebenszykluskosten. Das führt dazu, dass Unterhalts- und Präventionsmaßnahmen nicht konsequent durchgeführt werden können und die reale Lebensdauer gegenüber der anfangs geplanten deutlich sinkt.
Digitales Bauen ist unerlässlich
Ohne Digitalisierung sind viele der oben genannten Möglichkeiten allerdings nicht denkbar. So sind zum Beispiel Modelle und Simulationslösungen wichtige Helfer bei der Bestimmung von CO2-Aufkommen in ganzen Lebenszyklen. Digitale Zwillinge und Dokumentationen von Gebäuden erlauben den Aufbau von digitalen Materialdatenbanken, Prognosen zu Verfügbarkeiten und Marktplätzen für Second-Hand-Rohstoffe oder -komponenten. Der Einsatz von Altkomponenten wird durch passgenaue digitale Planungstools in der Sanierungs- oder Neubauplanung erst möglich.
Ähnlich umfassend wirkt sich die Digitalisierung im Gebäudemanagement aus. Gebäudeautomatisierung oder KI-basierte Bildanalysen erlauben smarte Konzepte für das Energiemanagement und die großflächige Ermittlung von Wärme- oder Kältebedarf. Sie helfen als Entscheidungsunterstützung bei der Planung von Renovierungen und beim Management begrenzter Ressourcen. Digitale Raumnutzungsdaten ermöglichen zudem eine vorausschauende Planung von Gebäudeservices, wie z.B. Reinigungsleistungen. Hier könnte zukünftig ein „Smart Readiness Index“ helfen – ein Maß für den Digitalisierungsgrad eines Gebäudes, dessen Entwicklung das KIT derzeit initiiert.
Bei der Planung von zukunftssicheren Infrastrukturen und Bebauungen geht es neben Nachhaltigkeit auch um Resilienz. Also darum, Anlagen so zu bauen, zu platzieren und auszulegen, dass das System insgesamt krisenfester wird und seine Funktion stabil aufrechterhalten kann. Für dieses Resilienz-Management spielen IT-basierte Analysen und Optimierungen eine tragende Rolle, um die Komplexität der Systeme zu erfassen und robuste Entscheidungsunterstützung zu ermöglichen.
Was nehmen wir mit?
Der Thementag hat gezeigt, dass der Werkzeugkasten an Ansätzen und Tools für nachhaltigere und resilientere Gebäude, Infrastrukturen und Städte prall gefüllt ist. Dass die Forschenden des KIT mit ihren anwendungsnahen Lösungen dazu wichtige Impulse geben, konnte man an der regen Diskussion mit den Teilnehmenden aus rund 15 Wirtschaftsunternehmen ablesen. Neben Themen wie zukünftiger Stadtplanung kamen dabei ganz praktische Punkte auf: Beispielsweise die schleppende Entwicklung regulatorischer Vorgaben oder Unklarheiten in der Auslegung von CO2-Footprint-Analysen. Ebenso betonten Gäste wie Referierende die Bedeutung von Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz der verschiedenen Maßnahmen für ihren erfolgreichen Einsatz. Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Resilienz bei Gebäuden und Infrastrukturen ist eine komplexe Aufgabe in einem komplexen System. Die Zeit drängt. Nur durch Kooperation von Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft kann die Mammutaufgabe gelöst werden. Das KIT ist für Zusammenarbeit bereit.
Der KIT-Business-Club bedankt sich für diesen tollen Thementag, für interessante Vorträge, spannende Diskussionen und offene Gespräche bei den Gästen und Vortragenden: Prof. Andreas Gerdes, Institut für Funktionelle Grenzflächen | Dr. Sadeeb Simon Ottenburger, Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit | Prof. Kunibert Lennerts, Institut für Technologiemanagement im Bauwesen | Prof. Dirk Hebel, Institut für Entwerfen und Bautechnik | Dr. Rebekka Volk, Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion.
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