Veröffentlicht am 29. Mai 2024
Der Elektro-Bioreaktor für den industriellen Maßstab
Elektrochemische sowie elektrobiotechnologische Prozesse laufen maßgeblich an der Grenzfläche zwischen Elektrode und umgebender Lösung ab. Um hohe Umsatzraten zu erzielen, muss das Verhältnis von Elektrodenoberfläche zu Lösungsvolumen maximiert werden. Partikelelektroden in Form von Fest- oder Wirbelbettelektroden bieten neben einer großen Oberfläche den Vorteil, dass die für die Reaktionen benötigten Biokatalysatoren, z.B. Enzyme oder Mikroorganismen, auf den Partikeln der Elektrode fixiert werden können. Hierdurch lässt sich bei einer kontinuierlichen Prozessführung ein Ausschwemmen der teuren Biokatalysatoren vermeiden. Zudem bedingt die räumliche Nähe der elektrochemischen und der biokatalytischen Reaktion kurze Stofftransportwege und damit eine beschleunigte Reaktionskinetik.
Solide Basis, bedingte Skalierung
Bereits etablierte elektrochemische Reaktoren auf Basis von Festbettelektroden bzw. von Stapeln aus Elektrodenplatten, Streckgittern oder Kohlenstoffgeweben, haben sich für den Labormaßstab bewährt, sind aufgrund ihrer Bauweise für industrielle Anwendungen in großem Maßstab aber nur bedingt skalierbar. Die mögliche Betriebszeit elektrochemischer Reaktoren mit fixierten Biokatalysatoren ist oftmals auf einige Tage bis maximal wenige Wochen begrenzt. Verstopfte Festbettelektroden, deaktivierte Biokatalysatoren oder in ihrer Funktion erschöpfte Elektrodenpartikel sind nur einige der Probleme. Als Folge müssen Reaktionen gestoppt und die Elektrodenpartikel oder -platten mitsamt den darauf fixierten Biokatalysatoren regelmäßig ersetzt werden. Mit zunehmendem Reaktordurchmesser nehmen außerdem die resultierenden Elektronentransportwege zwischen Arbeits- und Gegenelektrode zu und die Spannungsverluste für einen wirtschaftlichen Betrieb werden zu groß.
Ein weiteres Problem bei der Skalierung ist die effiziente Kühlung großer Reaktoren. Eine externe, gleichmäßige und konstante Kühlung des gesamten Reaktors ist komplex und die Temperaturregulierung im Inneren des Reaktors träge. Die beschriebenen Umstände führen zu Funktionseinbußen und damit zu einer unzureichenden Effizienz im Up-Scaling.
Industriefirmen haben daher Bedarf an Partikelelektrodenreaktoren, die sich durch einen optimierten Ladungstransport und damit schnelle Reaktionskinetiken, einer gleichmäßigen Kühlung sowie einen Elektrodenpartikeltausch ohne Unterbrechung des Reaktorbetriebs auszeichnen.
Design mit Verflechtung
Forschende des KIT haben einen Reaktortyp entwickelt, der die beschriebenen Nachteile des Stands der Technik durch einen speziellen Aufbau löst. Neu ist die dreidimensional verflochtene Anordnung und Ausführung der Partikelelektrodenkammer sowie die Ausgestaltung der Gegenelektrodenkammer. Durch die Anordnung der Gegenelektrode im Inneren der Partikelelektrode minimieren sich die Elektronentransportwege und werden in der Partikelelektrodenkammer gleichmäßiger. Das Design einer gleichförmigen Anordnung membranumhüllter, hohlzylinderförmiger Gegenelektroden, platziert innerhalb einer gemeinsamen, fluidisierten Partikelelektrode, verspricht weniger Energieverluste und ermöglicht eine innenliegende Kühlung. Diese Anordnung lässt darüber hinaus eine beliebige Skalierung des Durchmessers der Partikelelektrode bei konstanten Ladungstransportwegen zu. Die Elektronentransportwege können somit auch in großen Reaktoren gering gehalten werden und das System ist ohne Effizienzverlust industriell skalierbar. Zudem löst die Technologie den Bedarf nach einem elektrochemischen Reaktortyp, der einen einfachen und schnellen Austausch der Elektrodenpartikel bzw. Katalysatorträger ermöglicht. Der vollständige Austausch erfolgt innerhalb weniger Minuten ohne Zerlegung des Reaktorgehäuses und der Teilaustausch sogar während des laufenden Betriebs.
Perspektive der industriellen elektro-(bio)technologischen Produktion chemischer Grundstoffe
Das neue Design ermöglicht erstmalig den Bau modularer, skalierbarer Partikelelektrodenreaktoren. Diese haben ein großes Potenzial für die Nutzung nachhaltig gewonnener elektrischer Energie zur Produktion chemischer Grundstoffe, die sich in biotechnologischen Prozessen nutzen lassen. Ein Beispiel ist die elektrochemische Umwandlung von CO2 in organische Verbindungen, wie Ameisen- oder Essigsäure. Ein anderes Beispiel ist die elektroenzymatische CO2-Reduktion zu Methanol. Letzteres erfordert Reaktorvolumen bis hin zu vielen Kubikmetern für die Produktion von Biokraftstoffen.
Ein erster Prototyp im Litermaßstab wurde im Rahmen eines Kooperationsprojektes gefertigt. Ziel des industriellen Partners ist die Produktion von erneuerbarem Methanol über einen elektroenzymatischen mehrstufigen Prozess. Hierzu soll der Reaktortyp zukünftig bis in den industriellen Maßstab skaliert werden.
Die Zusammenarbeit in diesem ersten Kooperationsprojekt betrifft den Einsatzbereich von Reaktionen mit direktem elektroenzymatischen Ladungstransfer. Für andere, beispielsweise rein elektrochemische Anwendungen, suchen die Forschenden des KIT weitere Industriepartner.
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